Beten mit den Beinen
Samstag Abend - ein heißer Tag neigt sich dem Ende zu. Doch in das kleine Städtchen ist Bewegung gekommen. Die Feuerwehr hat einige Straßen abgesperrt. Menschen strömen zu dem Platz an der Kirche, Junge und Alte, Eltern mit Kindern, Jugendliche, Großeltern, Frauen und Männer. Im Schatten unter Sonnenschirmen, Bäumen und Sträuchern hören sie auf die Informationen und Kommentare der Moderatorin. Musik tönt aus den Lautsprecherboxen; es herrscht eine Atmosphäre wie im Stadion. Normalerweise kommt die Gemeinde zum Gottesdienst, zum Gebet zur Kirche, oder auch zu einem Konzert. Doch die Menschen hier sehen gar nicht danach aus, sie sind sportlich gekleidet.
‘Orgel-Lauf’ heißt das Ereignis. Ein sportlicher Wettkampf für ein ungewöhnliches Ziel. In der Kirche fehlt die Orgel, sie muss grundlegend überarbeitet werden. Das Orgelspiel des Kantors war immer mehr zur akrobatischen Leistung geworden, denn wenn es klingen sollte, was er spielte, musste er oft zwischen Tönen, Oktaven und Registern hin- und herspringen. Da half auch kein Beten mehr. So ein großes Instrument benötigt jedoch eine besondere Werkstatt, eine Orgelbaufirma, einen Spezialisten. Eine teure Sache.
Das bunte Stimmengewirr verrät die Erregung der Menge, gleich geht es an den Start. Die Leute sind gespannt, wieviele Läufer sich nach der Hitze des Tag einfinden werden. Dann wird es still. „Lauft so, dass Ihr den Siegespreis gewinnt“, liest der Pfarrer aus der Bibel vor. Dabei geht es nicht darum, dass am Ende nur einer der Sieger ist und mit Goldmedaille auf dem Treppchen steht. Es geht um das sportliche Kämpfen mit Körper, Geist und Seele. Das ist nicht nur eine Sache der körperlichen Fitness, sondern auch des geistigen Willens und der seelischen Kraft. Wenn jemand nicht mehr weiter weiß, wird oft gesagt: „Da hilft nur noch Beten“. Hier beim Orgel-Lauf beten die Läufer mit ihren Beinen. Und jede Runde, die sie absolvieren, hilft zum gemeinsamen Erfolg: die Hoffnung, den Orgelbau finanzieren zu können, kann sich erfüllen. So werden Läufer und Spender zum Segen für die Kirche.
Die Kirche soll ein Ort segnender Gemeinschaft sein. Der Segen Gottes wird an dem Abend praktisch spürbar: im Ringen mit Hitze, Kräften und Runden haben die Sanitäter nichts zu tun - Gott sei Dank. Die Helfer an Getränkestand und Grill dafür um so mehr. Am Ende des Abends sehen alle erfüllt und dankbar aus; nach dem eben Erlebten spüren Läufer, Helfer und Zuschauer: Wir sind Gesegnete.
Pfarrer D. Eckhardt, Ev.-Luth. Kirchgemeinde Schlettau