Der 1.Mai - ein Tag zur Besinnung

Wissen Sie noch, was in DDR-Zeiten ein „Wink-Element“ gewesen ist? Das waren die kleinen Fähnchen aus Papier, mit denen wir Schüler früher am 1. Mai in Reih und Glied an der großen Ehrentribüne vorbeimarschieren und den Parteibonzen und Politgrößen zuwinken mussten.

 

Das alles ist längst vorbei. Nur noch kleine Gruppen begehen heutzutage öffentlich den Tag der Arbeit. Die meisten Menschen erfreuen sich vor allem an dem freien Tag. Für uns Pfarrer ist es sogar einer der ganz wenigen Feiertage, die völlig dienstfrei sind, weil kein Gottesdienst ist.

 

In diesem Jahr ist das anders. Der 1. Mai fällt auf einen Sonntag. Der „Tag der Arbeit“ fällt auf den „Tag der Ruhe“. Und viele beklagen das, weil ihnen durch diese Überschneidung faktisch ein Feiertag verlorengeht. Ich dagegen sehe darin die Chance, den 1. Mai mal in einem anderen Licht zu betrachten.

 

Haben Sie zum Beispiel gewusst, dass die Arbeit in der Bibel eine ganz hohe Würdigung erfährt? Schon gleich auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift, wo es um Gottes Schöpfung geht, heißt es:

Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte (1.Mose 2,15).

 

Die Arbeit kommt also von niemand Geringerem als von Gott selbst. ER hat sie uns Menschen gegeben. Und sie kann etwas Paradiesisches sein. Sie kann unser Leben mit Freude erfüllen. Sie gibt uns Befriedigung. Sie gibt unserem Dasein Sinn. Wenn sie fehlt, fehlt uns etwas im Leben. Jeder, der eine Zeit der Arbeitslosigkeit erlebt hat, muss das schmerzhaft erfahren.

Und interessant: bei allem Tun gehört das „Bebauen“ und das „Bewahren“ zusammen. Das heißt, wir dürfen unseren schönen Planeten nicht nur ausbeuten, sondern auch die Bewahrung der Schöpfung ist und bleibt eine wichtige Aufgabe.

 

Natürlich ist die Arbeit auch etwas Mühevolles. Auch davon redet die Bibel. Manchmal ist unser Tun scheinbar ohne Sinn und Ziel - scheinbar völlig vergeblich. Die Arbeit raubt uns Lebenszeit und Lebenskraft und kann uns regelrecht auffressen.

 

Und deshalb sollen wir auch das Ruhen nicht vergessen! Es dient zur notwendigen Erholung und Regeneration. Und dafür, dass wir Zeit für andere Menschen haben. Und Zeit, Gott zu loben. Und deshalb ist der wöchentliche Ruhetag nicht nur gesetzlich geschützt, sondern sogar biblisch geboten.

 

Wir sehen, der 1. Mai ist nicht nur ein Kampftag. Er kann auch ein Tag der Besinnung sein. Und erst recht dann, wenn der Tag der Arbeit wie in diesem Jahr ausgerechnet auf den Sonntag fällt!

 

Mit einem herzlichen Glückauf grüßt

Superintendent Dr. Olaf Richter, Annaberg-Buchholz