Zwei Viertelstunden

Wegen der Corona – Pandemie leben wir nun schon seit etlichen Wochen mit größeren oder kleineren Einschränkungen. Vieles in unserem Leben, das wir für selbstverständlich erachtet haben, ist plötzlich unverfügbar geworden, sowohl inhaltlich als auch zeitlich. Keiner weiß, wie sich das Infektionsgeschehen entwickeln wird und wie lange die Pandemie noch anhält. Verständlich ist daher das Bemühen, in einen wie auch immer gearteten Alltag (zurück) zu finden. Und zumindest das ist Alltag: Ich höre altbekannte Sätze, wenn es darum geht, Probleme zu lösen. “Das kann nicht funktionieren, wir sind zu wenige.“ Oder: „Das wird nicht gehen, wir haben zu wenig Geld.“ Und natürlich der Klassiker: „Wir haben keine Zeit.“ In diesem Zusammenhang fällt mir Lothar Zenetti ein, der das Wunder von der Speisung der Fünftausend, über die in Matthäus 14,13-21 berichtet wird, auf das Thema Zeit übertragen hat.*

 

Im Bericht der Bibel wollen die Jünger, dass Jesus die Menschen wegschickt, damit diese in die Dörfer gehen, um sich etwas zu essen kaufen zu können. Aber Jesus hält das nicht für nötig und fordert seine Jünger auf, den Menschen zu essen zu geben. Die Jünger meinen jedoch, dass das wenige, was sie haben, nicht reicht. Denn sie haben nur fünf Brote und zwei Fische. In der Variation zum Evangelium, die Lothar Zenetti bereits vor fünfzig Jahren schrieb, wollen die Jünger ebenfalls, dass Jesus die Menge wegschickt, allerdings mit einer Begründung, nach der sowohl die Menge als auch die Jünger selbst keine Zeit mehr haben. Jesus möchte aber, dass die Jünger dem Volk von ihrer Zeit geben. Und wiederum wenden die Jünger ein, dass es nicht reicht, was sie haben. Denn es gab nur Einen, der hatte gerade mal noch fünf Termine frei und dazu zwei Viertelstunden. Doch diese wenige Zeit nimmt Jesus, spricht ein Segensgebet und lässt die kostbare Zeit an die vielen Leute austeilen. Und welch ein Wunder. Die wenige Zeit reicht für alle, selbst für die Jünger. Am Ende sind sogar noch zwölf Tage übrig. Geht es uns auch manchmal wie diesen Jüngern? Da ist ein scheinbar unlösbares Problem und wir reagieren darauf mit Hilflosigkeit. Jesus aber sagt zu den Jüngern: „… gebt ihr ihnen…“. Und dann erleben sie, wie das Wenige, das scheinbar Unzureichende, das Unvollkommene gesegnet wird und für alle reicht. Alle werden satt. Für alle reicht die Zeit. Deshalb wünsche ich uns auch und gerade in Krisenzeiten den Mut, das einzusetzen, was wir haben, … selbst wenn es nur zwei Viertelstunden sind.

 

* Zenetti, Lothar: Die wunderbare Zeitvermehrung. Variationen zum Evangelium. München: 1979. S. 121 f.