Blick nach vorn

Liebe Leserinnen und Leser,

manchmal kann ein Schritt zurück nötig sein, um einen Schritt vorwärts zu kommen. Auch in den Erinnerungen steckt eine Kraftquelle. Das stimmt. Trotzdem kann ich es bald nicht mehr hören und ertappe mich doch selbst dabei, wie sich diese Stimme ganz leise auch in meinem Kopf zu Wort meldet. Mit einem tiefen Seufzer sagt sie: „Ach, früher!“ Je länger die Aufzählung wird, was früher alles besser gewesen zu sein scheint, umso mehr will der verklärte Rückblick anhand bruchstückhafter Erinnerungen und feinsäuberlich ausgewählter Gedankenfragmente zur zweifelhaften Schlussfolgerung kommen: „Früher war alles besser!“ Und was diesem Urteil widerspricht, ist sowieso schon seit Jahren feinsäuberlich in den Gedächtnislücken meines Verstandes abgelegt.

 

„Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes!“ (Lk 9,62) Wenn etwas mit dem Reich Gottes untrennbar verbunden ist, dann sind das der Neuanfang und der Aufbruch in die Zukunft. Nicht in irgendeine Zukunft, sondern die Zukunft die Gott durch uns gestalten will. Getragen von den Zusagen Gottes und der Hoffnung des Glaubens wohnt eine Kraft in dieser Bewegung nach vorn, dass sie nicht nur die Ketten der Vergangenheitsverliebtheit und des nachdenklichen Bewahrungsdranges sprengt, sondern schöpferische Kräfte entfaltet.

 

Der Pflug kratzt nicht nur an der Oberfläche. Er wühlt den Boden auf. Sicher kommt da einiges durcheinander. Manches geht sogar zu Bruch. Aber es entsteht auch der Raum für Neues. Es ergeben sich sogar neue Umstände. Das Pflügen lehrt uns, dass die Rahmenbedingungen, die auch einen Vorwand gegen Veränderung darstellen, nicht unantastbar und schon gar nicht unveränderbar sind. Dennoch ist man während des Pflügens in einer bizarren Situation. Was war ist nicht mehr und was kommen soll ist noch nicht. Wenn ich jetzt über die Schulter schaue, dann würde mich die Angst packen: Das Neue kann noch nicht viel vorweisen und das alte habe ich auf dem Gewissen. Ich würde beginnen zu zittern und in Schockstarre verharren. Also gilt es den Blick nach vorn zu richten. Weil das nicht einfach ist, möchte ich mir Gottes Stimme zu Herzen nehmen: „Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?“ (Jes 43,19) Das ist eine große Verheißung, aber auch eine gute Frage. Im Rückblick ist es wahrscheinlich nicht erkennbar, aber mit jedem Schritt nach vorn, wird das Neue deutlicher zu sehen sein.

 

Mit herzlichen Grüßen, Ihr Pfarrer Kenny Mehnert    (Pfarrer der Ev.-Luth. Kirchgemeinde an Fichtelberg und Bärenstein)