REFORMATION DER RECHTHABEREI

Behalten Sie auch gern recht? Recht haben wollen gehört für viele Menschen zu den wichtigen Sachen im Leben. Jede Menge Zeit, Geld und Energie wird aufgewandt, damit am Ende die aufbauende Erkenntnis stehen kann: „Ja, ich habe recht.“ Widerspruch können wir offenbar nur schwer erdulden.

 

Zu streiten erfordert hohe Anstrengung und liefert in der Regel nur dürftige Ergebnisse. Andere überzeugen, gelingt selten. Es gibt oft keine absolute Wahrheit oder absolute Unwahrheit. Die Wirklichkeit ist nicht schwarz oder weiß, sondern besteht aus vielen Tönen, Graustufen oder Farben, so dass die jeweilige Perspektive ein anderes, jeweils eigenes und dennoch reales Bild ergibt.

 

An diesem Wochenende findet das Festwochenende zum 500. Reformationsjubiläum in Wittenberg statt. Angefangen hat die Reformation mit einem Mönch namens Martin Luther, der Recht haben und Recht behalten wollte. Eigentlich wollte er nur seine Kirche von einigen Irrtümern befreien und wieder auf den richtigen Weg bringen. Erreicht hatte er schließlich eine Kirchenspaltung, die in der Folge durch Kämpfe um die Wahrheit viele Opfer forderte. Weitere Kirchenspaltungen folgten in der Geschichte, bis heute auch Kirchenaustritte ...

 

Dass Christen an diesem Wochenende trotz verschiedener Konfessionen gemeinsam Reformation feiern, dazu auch jüdische und muslimische Gemeinden zum Gespräch eingeladen haben, ist nicht selbstverständlich. In den Tagen der Reformation wäre dies nicht vorstellbar gewesen. Da ging es um Rechthaben, Abgrenzung und Bekämpfen der falschen Lehre. Offenbar haben wir aus der Geschichte gelernt, dass verschiedene Sichtweisen sich nicht ausschließen, andere Wahrheiten nicht bekämpft werden müssen. Zielführend ist, in einen Dialog zu treten und darauf zu hören, welche Wahrheit in der Überzeugung des jeweils anderen enthalten ist. Oft sind mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen zu entdecken.

 

Passend zur Reformationsfeier beginnt an diesem Sonntag die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Erinnert wird dabei an ein Jesuswort aus Johannes 17,21: „Ich bete darum, dass sie alle eins seien.“ Einheit in Vielfalt – dies ist heute Ziel ökumenischer Begegnungen. Sie bietet die Chance zu Verständigung, friedlichem Miteinander, neuen Erkenntnissen und gemeinsamem Handeln trotz unterschiedlicher Sichtweisen, da keiner mehr Recht behalten muss.

 

 

 

Diakon Klaus Mehlhorn ist als Bezirksgemeindereferent im Ev.-Luth. Kirchenbezirk Annaberg tätig.