Die Beunruhigung

Vor meinem inneren Auge entsteht die Erinnerung an einen Film, einen DEFA-Film: „Die Beunruhigung“. Eine Frau, die in der DDR der frühen 80er Jahre mitten im Leben steht. Berufstätig, gesellschaftlich aktiv, Kleinfamilie … Da plötzlich tritt eine Beunruhigung in ihr Leben. Es wird Brustkrebs festgestellt. Das wirft ihr gewohntes Leben aus den Bahnen. Und dann gibt es – inmitten vieler hektischer Aktivitäten und Beziehungsstress – eine Szene, die mir unvergesslich blieb: Es ist Nacht. Sie blickt aus dem Fenster ihrer Wohnung. Unter ihr der Alexanderplatz. Also im Herzen von Ost-Berlin. Und sie ruft in die Nacht hinein: „Liebe Gott, bitte mach, dass alles gut wird …“. Ein Film, in der atheistischen DDR gedreht, eine Frau, die wohl sonst mit Glaube und Kirche nichts zu tun hat. Hier, in dieser Notsituation, in dieser Lebenskrise, wird plötzlich der Ruf zu Gott, die Bitte um Hilfe, wieder aktuell.

 

Der morgige Sonntag trägt im Kirchenjahr den Namen „Rogate“ – zu deutsch: „Betet!!“. Eine Aufforderung, zu beten. Aber ist denn das okay, wenn man Gott „einen guten Mann sein läßt“, sich nicht um ihn schert … aber dann plötzlich, wenn eine gefährliche Krankheit, oder eine andere Not in meine Leben tritt, dann plötzlich zu ihm betet?

Über diese Frage kann man sicher diskutieren. Aber fakt ist, dass schon in Psalm 50, Vers 15 steht: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“

 

Ich darf in jeder Notlage zu Gott rufen, auch wenn ich bisher wenig Kontakt zu ihm und seiner Kirche hatte. Das Angebot steht. Die Frage ist, was daraus folgt. Wenn ich ernsthaft zu ihm rede, werde ich auch Erfahrungen machen. Nicht immer exakt so, wie ich es mir wünsche, aber: kein Gebet bleibt ungehört. Und dann wird auch wieder eine Beziehung entstehen.

 

Gott sagt jedenfalls: Wenn du ernsthaft nach mir rufst, wirst Du Rettung erfahren und dann wirst du weiter beten. Aber anders: Du wirst mich loben und preisen.

So soll Gebet auch sein. Jesus hat uns gelehrt, dass wir zu Gott reden können, wie zu einem Menschen unseres Vertrauens.

 

Er hat uns gelehrt, zu Gott Vater zu sagen. Wir dürfen also im Gebet reden, „wie uns der Schnabel gewachsen ist“. Aber wir dürfen gern auch vorformulierte Gebete verwenden, die unsere Situation gut ausdrücken. Eins der bekanntesten ist neben dem „Vater Unser“ der 23. Psalm („Der Herr ist mein Hirte …“), ein Gebet des Vertrauens.

Wir dürfen sogar zu Gott beten, wenn wir zweifeln, ob es ihn gibt. Ganz gleich, was Sie bewegt, an Sorgen und Ängsten und Zweifeln, an dankbaren Gedanken und guten Erfahrungen, an Freude …. Sie dürfen beten. Ich mache ihnen dazu Mut. Sprechen Sie auch mit anderen Christen über ihre Erfahrungen.

 

Pfarrer Martin Seltmann, Ev.-Luth. Kirchgemeinde Königswalde