Wasserströme in der Wüste

19.03.2014
Wasserströme in der Wüste
von Jörg Herrmann
 

 

Fasziniert sehe ich auf die Blume. Sie ist Teil einer Landkarte. Den Nil erkenne ich wieder. Er bildet den Stängel der Blume. Die Nebenarme des Nils sehen dadurch aus wie die Stiele von Blättern, die an der Blume wachsen könnten. Das Schönste ist die Blüte. Breit entfaltet sie sich – die Blütenblätter als Nordküste mit dem Nildelta. Geniale Idee! Links und rechts von der Blume ist es blau und grün, wahrscheinlich viel grüner, als die Wüste westlich und östlich des Nils tatsächlich ist. Aber Dürre und Sand kommen auch noch zu ihrem Recht: Wo das Grün aufhört, wird der Hintergrund der Blume gelb. Immer wieder schaue ich von einem zum anderen: Eine Lotusblume. Die Landkarte von Ägypten. Was ich hier beschreibe, ist das Plakat vom Weltgebetstag 2014. „Wasserströme in der Wüste“ war sein Thema. Am 7. März fand er statt, wie immer am ersten Freitag im März. Wie immer vorbereitet und durchgeführt von Frauen. In insgesamt 130 Ländern der Erde. Aus einem dieser Länder kommt die Liturgie, 2014 zum dritten Mal aus Ägypten. Ein Land, das äußerst wenig Wasser hat. Deshalb der Nil als Blume. Ägypten ist natürlich nicht nur heiß und trocken. Ägypten ist eins der Länder, in dem im „arabischen Frühling“ um gesellschaftliche Freiheit gerungen wurde. Auch darauf bezog sich das Motto des Weltgebetstages „Wasserströme in der Wüste“. Besonders junge Frauen haben die Demonstrationen 2011 auf dem Tahrir-Platz in Kairo als Befreiung erlebt. Daran erinnerte die Liturgie – eine wichtige Erinnerung, gerade weil aus dem „arabischen Frühling“ nicht einfach das erwachsen ist, was sich viele erhofft haben. Noch nicht? Das Bild, welches ich vorhin beschrieben habe, das Bild vom Nil als Blume in der Wüste, wurde von einer Frau gestaltet. Das ist für den Weltgebetstag nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich scheint zu sein, dass diesmal eine Muslimin das Bild gestaltet hat für eine christliche Veranstaltung. In einem Land, in dem sich etwa 90 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen und die christlichen Minderheiten von zunehmenden Repressionen berichten. Es sei ihr eine Ehre gewesen, dieses Bild gestalten zu dürfen, sagte Souad Abdelrasoul, denn: „Gott ist das Ziel, wie verschieden auch immer die Wege zu ihm sind.“ Der Weltgebetstag ist für mich ein Zeichen, dass in diesem Satz nicht nur Auseinandersetzung lauert, sondern auch Versöhnung wartet. In der Weltgebetstagsliturgie aus Ägypten bekennen Frauen, dass sie in der Begegnung mit Jesus „Wasser des Lebens“ gefunden haben – und wie sie von ihm ermutigt werden, Grenzen der Verständigung immer wieder zu überwinden. Wasserströme in der Wüste.